„Er hat noch viel vor“
Pater Maier zu 10 Jahre Franziskus

Papst Franziskus ist seit zehn Jahren im Amt. Ein „Papst vom Ende der Welt“, sagte er selbst. Was bedeutet seine Herkunft für sein Pontifikat und wie tickt ein Jesuiten-Papst? Und ist er so weit vom Synodalen Weg entfernt? Adveniat-Hauptgeschäftsführer Pater Martin Maier hat sich diesen Fragen im Interview mit dem Domradio gestellt.

Adveniat-Hauptgeschäftsführer Pater Martin Maier stellt Papst Franziskus die Weihnachtsaktion 2022 „Gesundsein Fördern“ vor.
Foto: © Vatican Media

Lassen Sie uns auf den ersten öffentlichen Satz des neuen Papstes schauen. Da trat er auf den Balkon und sagte: „Fratelli e sorelli: Buona sera.“ „Brüder und Schwestern: Guten Abend.“ Ist das einer der Sätze aus dem Beginn des Pontifikats, der Ihnen auch gut in Erinnerung geblieben ist.

Pater Martin Maier SJ: Der Satz ist mir gut in Erinnerung geblieben. Ich habe damals live diese Szene angeschaut und habe mir gesagt: Das ist ja ein ganz normaler Mensch.

Welche seiner Sätze aus dem Beginn des Pontifikats ist Ihnen noch gut und eindrücklich in Erinnerung geblieben?

P. Maier: Der zweite Satz, der mir in Erinnerung geblieben ist, das war ein paar Tage nach seiner Wahl, wo er sagte: Wie sehr wünsche ich mir eine arme Kirche für die Armen. Und das ließ mich aufhorchen, weil das ein ganz zentrales Anliegen auch für mich ist. Ich bin vor 40 Jahren Jesuit geworden, weil ich mich in der Nachfolge Jesu für die Armen und für mehr Gerechtigkeit in dieser Welt einsetzen wollte. Das tue ich auch heute als Hauptgeschäftsführer des Lateinamerikahilfswerks Adveniat. Und Papst Franziskus ist da ein ganz großer Verbündeter.

Lateinamerika ist ja der Kontinent, auf dem die meisten Katholiken weltweit leben. Und doch ist Franziskus der erste Lateinamerikaner überhaupt, der zum Papst wurde. An sich schon bemerkenswert, oder?

P. Maier: Schon bemerkenswert, aber dann auch wieder nicht völlig überraschend. Mehr als 40 Prozent aller Katholiken und Katholikinnen leben heute in Lateinamerika. Von daher ist es eigentlich richtig, dass ein Papst auch mal aus Lateinamerika kommt.

Ist das etwas, das für richtigen Aufschwung in dem Land gesorgt hat, wo die Säkularisierung ja doch voranschreitet? Die Evangelikalen gewinnen an Einfluss. Welche Rolle spielte es, dass einer von ihnen Papst ist?

P. Maier: Zuerst einmal waren die Argentinier mehrheitlich begeistert. Argentinien ist ein stolzes Volk. Dass einer von ihnen Papst geworden ist, das hat viele mit Freude und Genugtuung erfüllt. Es gab auch kritische Stimmen, weil Jorge Mario Bergoglio als Erzbischof von Buenos Aires auch in Argentinien schon ein durchaus unbequemer Kommentierer von gesellschaftlichen und politischen Fragen war.

Aber für so einen richtigen Aufschwung in dem Land hat das nicht gesorgt.

P. Maier: Wie möchte man einen Aufschwung durch die Wahl eines Papstes messen? Es hat schon Begeisterung ausgelöst und die Mehrheit der Bevölkerung in Argentinien ist immer noch katholisch. Aber natürlich hat sich dann mit der Zeit auch ein Gewöhnungseffekt eingestellt.

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In der Politik und in der Wissenschaft hat seine Enzyklika „Laudato Si“ große Anerkennung und Aufmerksamkeit erregt. Sie wird als eines der bedeutendsten Werke von Papst Franziskus gewertet. Er ruft zum Schutz von Klima, Natur und Lebensräumen auf. Und doch ist de facto noch nie so viel Regenwald zerstört worden wie in den vergangenen Jahren. Waren es doch alles nur schöne Worte?

P. Maier: Es ist doch so: „Laudato Si“ hat wie noch kein päpstliches Schreiben zuvor eingeschlagen und wurde auch über die katholische Kirche hinaus beachtet. Ich war zu der Zeit, 2015, in Brüssel im Sozialzentrum der Jesuiten tätig. Ich habe dort erlebt, dass auch unter hohen Europapolitikern „Laudato Si“ große, große Aufmerksamkeit und Zustimmung gefunden hat.
Natürlich, es ist auch eine Frage der Bewusstseinsbildung und der Bewusstseinsveränderung in der Frage der Sorge um das gemeinsame Haus, wie der Untertitel der Enzyklika lautet. Das braucht Zeit und wir haben nicht mehr viel Zeit. Das ist ein Dilemma. Aber ich denke doch, dass „Laudato Si“ zum Beispiel einen wichtigen Einfluss auf den Klimagipfel in Paris 2015 hatte, wo wichtige Vereinbarungen zur Senkung der globalen Erwärmung getroffen wurden.

… an die wir uns jetzt nur noch halten müssen.

P. Maier: Das ist die Schwierigkeit: Auf der einen Seite werden Verträge unterschrieben, auf der anderen Seite lässt aber die Umsetzung zu wünschen übrig. Das ist das Bohren dicker Bretter, das auch für die Klimafrage gilt.

Jetzt sind Sie ja selbst auch Jesuit. Wie oft erkennen Sie in dem, was Papst Franziskus sagt und tut, das Jesuitische, also die ignatianische Spiritualität?

P. Maier: Ich war zuerst einmal sehr überrascht, dass ein Jesuit, ein Mitbruder aus meinem Orden zum Papst gewählt wurde. Wir haben ein spezielles Gehorsamsgelübde gegenüber dem Papst und legen auch ein Gelübde ab, dass wir nicht nach kirchlichen Führungsämtern streben. Die Kardinäle haben ihn gewählt und er ist jetzt Papst.
Er lebt sehr stark aus der jesuitischen, der ignatianischen Spiritualität. In deren Mittelpunkt steht die Unterscheidung der Geister. Das bedeutet herauszufinden, herauszuspüren, wo Gott sich in dieser Welt in der Geschichte bemerkbar macht und wo er seinen Willen, wo er eine Richtung zeigt. Den Willen Gottes suchen und finden ist eine Kurzformel ignatianischer Spiritualität.

Pater Martin Maier ist Hauptgeschäftsführer des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat. Foto: Achim Pohl/Adveniat

Das ist es, was Papst Franziskus leitet: in seinen Entscheidungen, in den Themen, die er setzt, in der Aufmerksamkeit auf die Zeichen der Zeit. Für ihn ist die weltweite Gerechtigkeitsfrage ein zentrales Zeichen der Zeit, die weltweiten Flüchtlingsbewegungen, die ökologische Frage, der Schutz der Regenwälder Amazoniens. Da hat er 2019 die Amazonas-Synode einberufen. Das ist es, was ihn leitet. Eben heraus zu spüren: Wo sind die Zeichen der Zeit, die Gott uns auch heute zeigt?

Lassen Sie uns auf den Synodalen Weg schauen und das, was Franziskus damit zu tun hat. Sie haben eben schon gesagt: Franziskus will eine arme Kirche. Er will die kirchlichen Hierarchien aufbrechen, die Machtfülle der Kurie abschaffen. Das deckt sich in vielen Punkten mit dem, was bislang beim Synodalen Weg diskutiert worden ist. Und doch gibt es immer wieder auch ein deutliches Stopp aus dem Vatikan für diesen deutschen Reformweg. Wie lassen sich so widersprüchlichen Signale zusammen denken?

P. Maier: Synodalität ist für Papst Franziskus ein ganz, ganz zentrales Anliegen. Er möchte eine Kirche, die gemeinsam auf dem Weg ist und die gemeinsam auch unterscheidet: Was sind die großen Herausforderungen in der Welt von heute? Deshalb hat er den weltweiten synodalen Prozess in Gang gesetzt, der in zwei Versammlungen in Rom im Oktober 2023 und dann ein Jahr später, 2024, münden wird. Und ein Teilprozess ist der deutsche Synodale Weg. Synodalität bedeutet auch, dass unterschiedliche Positionen und Überzeugungen aufeinanderstoßen, dass auch kontrovers diskutiert wird.
Papst Franziskus hat ja 2019 einen umfassenden Brief „An das pilgernde Volk Gottes in Deutschland“ zu dem deutschen Synodalen Weg geschrieben. Ich denke, dort steht auch drin, was er sich vom deutschen Synodalen Weg erhofft. Und er sagt auch: Es gibt Gefahren. Es kann sein, dass Richtungen eingeschlagen werden, die er nicht teilt. Aber dann ist es eben notwendig zu diskutieren, gemeinsam zu unterscheiden. Insofern sehe ich nicht, dass Papst Franziskus Stoppschilder aufgestellt hat, sondern dass er auch in ein Gespräch eintreten möchte.

Welche Punkte, die im Synodalen Weg in Deutschland jetzt so vorgeschlagen, eingeschlagen werden, gehen mit ihm konform und mit seiner Meinung. Und worüber freut er sich, dass solche Anregungen in Deutschland gedacht werden?

P. Maier: Für ihn ist von Anfang seines Pontifikats an die Entklerikalisierung, ein neues Verständnis von Macht in der Kirche ein Anliegen: Macht als Dienst. Und das ist ein zentrales Thema im deutschen Synodalen Weg: Eine größere Beteiligung von Laien, vor allem auch von Frauen in der Kirche. Auch das ist ein wichtiges Anliegen von Papst Franziskus. Er hat in dem Schreiben „Amoris Laetitia“ gesagt, die Kirche solle ihre moralischen Prinzipien nicht wie Steinblöcke auf die Menschen werfen, sondern er möchte eine barmherzige Kirche. Auch das ist im Einklang mit dem deutschen Synodalen Weg.

Zehn Jahre ist Papst Franziskus im Amt. Jetzt ist er 86 Jahre alt. Wir wissen seit Benedikt XVI., dass Päpste auch zurücktreten können. Man sieht Papst Franziskus in der letzten Zeit häufiger im Rollstuhl. Wie schätzen Sie die Möglichkeit ein, die immer mal wieder diskutiert wird, dass vielleicht auch Papst Franziskus eines Tages sagt: Ich trete zurück?

P. Maier: Diese Möglichkeit hat er selbst auch schon sehr klar artikuliert. Aber er hat vor kurzem auch zu verstehen gegeben: Er wird physisch gebrechlich, aber er ist noch nicht amtsmüde. Er hat noch einiges vor.

Das Interview führte die Domradio-Moderatorin Uta Vorbrodt.