Vor 25 Jahren starb Dom Hélder Câmara
Kleiner Mann, scharfer Verstand, großes Herz

Mehrfach wurde er für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Lange vor Papst Franziskus träumte er von einer armen Kirche an der Seite der Armen – und lebte sie. Bischof Hélder Câmara war seiner Zeit voraus.

Dom Hélder Câmara lebte an der Seite der Armen und Ausgestoßenen. Foto: Adveniat/Instituto Dom Hélder Câmara

Große Worte authentisch gelebt. Dafür steht Hélder Pessoa Câmara mit seinem Satz: „Wenn einer allein träumt, ist es nur ein Traum. Wenn viele gemeinsam träumen, ist das der Anfang einer neuen Wirklichkeit.“ Mit dieser Überzeugung wurde der klein gewachsene Mann aus dem armen Nordosten Brasiliens zu einem Motor der Alphabetisierung von Millionen und ein Vater der Befreiungstheologie.

Diese Parteinahme für die Armen war allerdings in Zeiten des Kalten Krieges heikel, sagt der Hauptgeschäftsführer des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat im Interview mit dem Domradio. Denn schnell haftete Dom Hélder Câmara der Stempel des „Roten Bischofs“ an. „Wenn ich den Armen Essen gebe, nennen sie mich einen Heiligen. Wenn ich frage, warum sie arm sind, nennen sie mich einen Kommunisten“, sagte er einmal. „Die Beschuldigung, Kommunist zu sein, war und ist bis heute in Lateinamerika lebensgefährlich“, erklärt Pater Maier. „Denn damit werden alle Maßnahmen gerechtfertigt, dagegen vorzugehen.“ So wurde Câmara ab 1968 bedroht. Es gab Attentate; sein Sekretär Antonio Peirera Neto wurde erschossen.

Geboren am 7. Februar 1909 als elftes von dreizehn Kindern einer Volksschullehrerin und eines Buchhalters aus Fortaleza wuchs Câmara in einer Region auf, deren Politik, Wirtschaft und Gesellschaft bestimmt war von Plantagenbesitzern und Rinderbaronen. Als Kind schon wollte er Priester werden; ein Wunsch, der sich für ihn als 22-Jährigen erfüllte.

Regelmäßige Besuche in den Favelas

Nach erstem Engagement mit katholischen Arbeiterinnen- und Gewerkschafterbewegungen wurde er 1934 Staatssekretär für das Erziehungswesen in seinem Heimatstaat Ceara, zwei Jahre später wechselte er ins Erziehungsministerium in Rio de Janeiro. Dort 1952 zum Weihbischof ernannt, wurde er auch auf das Elend in den Favelas aufmerksam. Regelmäßig besuchte Câmara Wohnungen der Armen, setzte sich für menschenwürdige und bezahlbare Wohnbedingungen ein.

Parallel bereitete der damals 43-Jährige zusammen mit Giovanni Montini, dem späteren Papst Paul VI., die Gründung der Brasilianischen Bischofskonferenz vor. Ab Oktober 1952 sollte er zwölf Jahre lang deren Generalsekretär sein. Ähnlich setzte er sich ab 1955 für die Bildung des Lateinamerikanischen Bischofsrats CELAM ein.

Einflussreicher Vertreter der Kirche des Südens

Durch Fernsehpredigten erlangte Câmara landesweit Berühmtheit. Auch darüber hinaus wurde er bekannt als einflussreicher Vertreter der Kirche des Südens beim Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965). 1963 appellierte er in einem offenen Brief an seine Mitbischöfe, ihren äußeren Reichtum abzulegen, um die Distanz zwischen ihnen und den Armen zu verringern.

Dieses Anliegen mündete am 16. November 1965 in den sogenannten Katakombenpakt, den 40 Bischöfe aus verschiedenen Ländern in der römischen Domitilla-Katakombe eingingen. Zwar ergriff Câmara in der Konzilsaula nie das Wort, seine Theologie aber fand Eingang in eines der prominentesten Konzilsdokumente: „Gaudium et spes“ (Freude und Hoffnung) über die Kirche in der Welt von heute. Der Text bekräftigt unter anderem die Hinwendung der katholischen Kirche zu den Armen.

Im März 1964 ernannte Paul VI. Camara zum Erzbischof von Olinda und Recife. Und während kurz darauf in Brasilien nach einem Putsch das Militär die Macht ergriff, kehrte Câmara zurück in Brasiliens armen Nordosten. Wo er erneut konfrontiert war mit grassierendem Elend wie dem Hungertod Tausender Kinder jährlich.

Wider die eigene Bequemlichkeit

Am 2. April 1986 nahm Papst Johannes Paul II. den Rücktritt von Hélder Câmara an. Dreizehn Jahre später, am 27. August 1999, starb der kleine Mann mit großem Herzen im Alter von 90 Jahren. Erst als ein Papst aus dem Süden den Stuhl des Petrus bestiegen hatte, begann 2015 ein Seligsprechungsprozess für Dom Hélder Câmara. In den Akten ist sicher auch verzeichnet, dass der „rote Bischof“ ein ebenso unermüdlicher Beter war.

Nächtens stand er oft auf um zu beten, in der Bibel zu lesen und zu meditieren. Einige Gedanken schrieb er nieder, wie diesen: „Du bringst meine Bequemlichkeit durcheinander, Herr, erschütterst mein Selbstvertrauen, lachst über meinen unangebrachten Stolz und bringst zu Fall meine Planungen, Träume und Ambitionen. Wenn dann alles verloren erscheint, richtest du alles wieder mit deinem ganzen Verstehen und all deiner Liebe (…), Herr, Gott des Alls.“

Auch 25 Jahre nach seinem Tod sei Câmara für ihn und viele Menschen auf dem Kontinent ein „Hoffnungsträger“, sagt Adveniat-Hauptgeschäftsführer Pater Maier. Er habe klar gemacht: Gebet und der Blick auf die weltliche Realität gehören zusammen, auch wenn das von Kritikern immer wieder bestritten werde: „Das steht schon so im Evangelium. Jesus hat viel gebetet, aber er ist auch aktiv geworden. Er hat gepredigt und dabei ungerechte Verhältnisse angeprangert und beim Namen genannt.“ Das dass von den jeweiligen Eliten nicht goutiert werde, liege in der Natur der Sache: „Schon Jesus hat die Option für die Armen gewählt. Und damit hat er auch provoziert“, sagt Pater Maier.

(KNA/red)