Die indigenen Völker
in Lateinamerika
Indigene Völker haben bereits vor der Kolonialisierung Lateinamerika und die Karibik bevölkert. Zu den bekanntesten gehören die Yanomami, die Kichwa und die Tenharim im Amazonasgebiet, die Kuna in Mittelamerika und die Mapuche in Chile. Ihre Lebenswelt wurde und wird bedroht durch eingeschleppte Krankheiten, Abholzung, Rohstoffabbau und Infrastrukturprojekte. Das Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat setzt sich mit seinen Partnerinnen und Partnern vor Ort für den Schutz dieser ursprünglichen Völker ein, die mit ihrer Art zu leben, echte Umweltschützer sind.
Die Lebenswelt von Moha vom Volk der Tenharim wird von Holzfällern, Goldsuchern, der vorrückenden Agro-Industrie und Staudammbauten genauso bedroht wie die der Yanomami, der Kichwa oder der Kuna. Foto: Adveniat/Jürgen Escher
Als Indigene werden die Angehörigen der ursprünglichen Völker Lateinamerikas und der Karibik bezeichnet, deren Vorfahren bereits vor der Kolonialisierung den Kontinent bevölkerten. Allein im Amazonasgebiet leben 2,8 Millionen Indigene aus 375 verschiedenen Völkern. Von der westlich geprägten Mehrheitsgesellschaft in den süd- und mittelamerikanischen Ländern werden sie häufig abwertend als „Indios“ oder „Indianer“ tituliert. Sie bezeichnen sich selbstbewusst als indigene, also ursprüngliche Völker, weil sie ihren Ursprung auf dem Kontinent haben, den die europäischen Siedler ab dem 16. Jahrhundert erobert haben. „Die Invasion indigener Gebiete wird seit 500 Jahren von Epidemien flankiert. Aber heute schreiten Umweltzerstörung und Covid-19 so rasant voran wie noch nie“, sagt die brasilianische Archäologin Bruna Rocha.
Klimawandel und Rohstoffhunger zerstören ihre Lebenswelt
Heute zerstören der Klimawandel, die rücksichtslose Ausbeutung von Rohstoffen, Wasserkraftwerke sowie gigantische Soja-, Zuckerrohr- und Palmölplantagen die Lebenswelt der Indigenen. Diese Zerstörung kommt einem schleichenden Mord an den indigenen Völkern gleich. Das Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat setzt sich mit seinen Partnerinnen und Partnern vor Ort dafür ein, dass die ursprünglichen Völker ihre Kultur und ihre Art zu leben bewahren können. Angesichts der weltweit spürbaren Folgen der Erderwärmung können wir im sogenannten globalen Norden von ihnen lernen, im Einklang mit der Natur zu leben. Adveniat gehört dem länderübergreifenden kirchlichen Amazonas-Netzwerk Repam (Red Eclesial PanAmazónica) seit dessen Gründung 2014 an. Repam unterstützt betroffene Gemeinden vor Ort, fördert Initiativen zum Schutz der Lebensräume und zur Bewusstseinsbildung. Indigene mit ihren jahrhundertealten Erfahrungen sollen nicht nur gehört werden und mitbestimmen, sondern zu Gestaltern ihrer eigenen Zukunft werden. Auch Papst Franziskus hat das Thema in den Fokus gerückt: 2015 mit seiner Umwelt- und Sozialenzyklika Laudato si‘ und der Amazonas-Synode im Oktober 2019.
Verseuchtes Trinkwasser bedroht die Yanomami
Ungewöhnlich lange Trockenheiten in den vergangenen Jahren und die verheerenden Waldbrände 2019 zeigen, wie sehr sich das Klima verändert. Selbst in den Regenwäldern Amazoniens droht der Wassernotstand. Zudem verseuchen Goldsucher und Agroindustrie das Trinkwasser beispielsweise der Yanomami. Das Überleben des indigenen Volkes im Norden Brasiliens ist bedroht. Längst hat sich die industriell betriebene Landwirtschaft an der dünn besiedelten Grenze zu Venezuela breitgemacht. Mit ihr kamen Kahlschlag, Insektizide und Dünger. Urvölker wie die Yanomami haben keine Alternative zur Natur, sie können kein sauberes Wasser im nächsten Supermarkt kaufen. Kippt die Natur, kippen sie mit. „Wenn die Regierung nicht endlich die Augen öffnet und etwas unternimmt, wird mein Volk verschwinden“, warnt Davi Kopenawa. Der Gründer der von Adveniat unterstützten Yanomami-Organisation Hutakara ist im September 2019 für seinen unermüdlichen Kampf für ide Rechte der Indigenen mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnet worden.
Zwischen Computer und den Ritualen der Kuna
Jeroncio Osorio lebt zwischen zwei Welten. Nach der Schule hat der Indigene vom Volk der Kuna sein Dorf verlassen, um in Panama-Stadt Verwaltungswesen zu studieren. Während er für die Universität täglich am Computer arbeitet und mit seinem Handy immer online ist, scheint auf seiner Heimatinsel die Zeit stehen geblieben zu sein. Playón Chico ist eine von 365 Inseln im Karibischen Meer. Dort lebt das Volk der Kuna noch nach Jahrhunderte alten Traditionen. Die Menschen wohnen in windschiefen Hütten, die mit Palmblättern gedeckt sind. Voller Stolz tragen die Frauen handgestickte Tracht, die Männer fahren morgens mit dem Boot zum Fischen oder gehen auf die Felder, wo sie Maniok, Ananas und Kokosnüsse anbauen. Briseida Iglesias ist eine „Nele“, eine Gelehrte der Kuna und gleichzeitig praktizierende Christin. Sie kennt sich in den Ritualen und Bräuchen des Volkes aus und wird gerne um ihre Einschätzung gebeten. Für Jeroncio ist sie eine wichtige Mentorin.
Die Kichwa wehren sich erfolgreich gegen die Erdölindustrie
Seit Jahrzehnten wehren sich die Menschen vom Volk der Kichwa im Osten Ecuadors gegen das Vorrücken ausländischer Erdölfirmen. Das Land gehört ihnen. Doch die riesigen Erdölvorkommen darunter beansprucht der ecuadorianische Staat für sich. In dem Dorf Sarayaku begannen die Konflikte 1996, als die Regierung dem argentinischen Unternehmen Compañía General de Combustibles (CGC) die Förderlizenzen erteilte, ohne vorher die Gemeinde in die Entscheidung einbezogen zu haben. „Militärs und private Sicherheitskräfte drangen in unser Land ein“, erinnert sich Patricia Gualinga, eine der Sprecherinnen der Gemeinschaft. „Wir waren in einer Art Kriegszustand, in ständiger Angst und Ungewissheit. Die Politiker hatten erwartet, dass wir zu Verhandlungen mit dem Unternehmen bereit sein würden. Doch wir wollten keine Verhandlungen und beschlossen, Widerstand zu leisten – bis zum Ende.“ Das Unternehmen zog sich schließlich zurück. Und 2012 bestätigte auch der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte in Costa Rica: Der ecuadorianische Staat hatte das Recht der Indigenen auf vorherige Beratung, auf Gemeindeeigentum und kulturelle Identität verletzt. Trotzdem müssen sich die Kichwa in Sarayaku nach wie vor gegen die Begehrlichkeiten großer Firmen wehren.