Unruhen in Venezuela – Lateinamerika fürchtet Migrationswelle

Nach dem umstrittenen Wahlsieg des sozialistischen Machthabers Nicolas Maduro in dem südamerikanischen Land mehren sich die Stimmen, die vor einem neuen Massenexodus warnen.

Flüchtlinge in Necoclí

Ähnlich wie die Menschen in Necoclí, Kolumbien, sitzen auch die Menschen in Venezuela auf gepackten Koffern. Foto: Adveniat/Hans-Maximo Musielik

Wahlsieger bleibt umstritten

Venezuelas Oppositionsführerin Maria Corina Machado hat vor einer „brutalen Eskalation der Repression“ durch die sozialistische Regierung in Caracas gewarnt. Die habe bis heute zu mehr als 177 willkürlichen Verhaftungen, elf gewaltsamen Verschleppungen und mindestens 16 Morden in den vergangenen 48 Stunden geführt, erklärte Machado am Mittwoch (Ortszeit) im Kurznachrichtendienst X.

Auch der sozialistische Machthaber Nicolas Maduro wandte sich an seine Anhänger und forderte sie auf, „Kriminelle“ anonym über eine App zu melden. Gemeint sind damit Demonstranten, die sich an den Protesten gegen die Regierung beteiligen. Er zögere auch nicht, eine neue Revolution durchzusetzen, ließ Maduro wissen. Den Obersten Gerichtshof, der mit von der Regierung ausgesuchten sozialistischen Juristen besetzt ist, forderte er auf, die Vorgänge rund um die Wahlen zu untersuchen.

Am Sonntag hatte die Wahlbehörde CNE Maduro zum Wahlsieger erklärt; an der Richtigkeit des Ergebnisses gibt es allerdings erhebliche Zweifel. Zahlreiche lateinamerikanische Länder erkennen das Ergebnis nicht an und fordern eine transparente Überprüfung. Das von der venezolanischen Regierung als Wahlbeobachter eingeladene Carter Center mit Sitz in den USA hatte kritisiert, die Wahl habe nicht internationalen Standards entsprochen und sei undemokratisch gewesen. Angesichts der angespannten Lage beginnt in zahlreichen lateinamerikanischen Ländern eine Diskussion darüber, wie mit einer möglichen neuen Migrationswelle umzugehen sei.

Thomas Wieland, Leiter des Bereichs Ausland beim Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat.

Foto: Adveniat/Martin Steffen

Angst vor Repressalien

Rund acht Millionen Menschen haben in den vergangenen Jahren Venezuela wegen der anhaltenden Versorgungskrise und staatlicher Repression verlassen. Die meisten versuchten, sich in lateinamerikanischen Ländern oder den USA eine neue Heimat aufzubauen. Laut Einschätzung des Lateinamerika-Experten Thomas Wieland vom kirchlichen Hilfswerk Adveniat könnten bei einem mit Gewalt durchgesetzten Wahlsieg von Nicolas Maduro erneut drei bis vier Millionen Menschen „auf gepackten Koffern“ sitzen.

Im Nachbarland Brasilien zitierte das Portal UOL den katholischen Geistlichen Jesus de Bobadilla von der Migrantenpastoral aus dem an Venezuela grenzenden brasilianischen Bundesstaat Roraima: „Wir erwarten einen wahren Ansturm von Menschen, die aus Venezuela fliehen.“ Seien es bislang Hunderte pro Tag gewesen, könnten es nun Tausende sein. Die bereits in der Region lebenden Venezolaner durchlitten Momente der „Traurigkeit, Angst und Stille“, sagte Jesus de Bobadilla. Die größte Angst der in Roraima lebenden Venezolaner seien Repressalien gegen diejenigen, die geblieben seien und gegen die Regierung demonstriert hätten. Seit Beginn der humanitären Krise im Jahr 2017 haben mehr als ein Million Venezolaner die Grenze nach Brasilien überquert, die Hälfte ist geblieben.

In Chile berief Innenministerin Carolina Toha eine Sondersitzung ein, um über Maßnahmen im Zusammenhang mit einer möglichen neuen Migrationskrise zu diskutieren. Die ehemalige Außenministerin Antonia Urrejola forderte laut lokalen Medienberichten alle Länder der Region auf, eine Reaktion auf eine „neue Migrationswelle“ aus Venezuela zu koordinieren. Die Lage sei ernst, sagte die Linkspolitikerin in einem Gespräch mit dem Portal Cooperativa, und „das werde Auswirkungen auf eine neue Migrationswelle haben“.

Panamas neuer Präsident Jose Raul Mulino erwartet mit Blick auf die Migrationsroute zwischen Kolumbien und Panama, dass „die jüngsten Ereignisse in Venezuela die Zahl der Migranten, die diese gefährliche Route wählen, noch erhöhen“. Nun sei es geboten, „angemessene Maßnahmen zu ergreifen, um die Sicherheit dieser Menschen zu gewährleisten und ihre Durchreise in die Vereinigten Staaten zu erleichtern“. Mulino hatte die Präsidentschaftswahlen vor wenigen Wochen unter anderem mit dem Wahlversprechen gewonnen, den Dschungel Darien, den die Migranten durchqueren müssen, abzuriegeln, um eine irreguläre Migration einzudämmen.

(von KNA)