„Haiti ist ein Mafiastaat“
Adveniats Hilfe wird immer wichtiger
„Haiti ist kein gescheiterter Staat, sondern ein Mafiastaat.“ Davon ist die Haiti-Referentin des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat, Soraya Jurado, überzeugt. Die Rede vom „Failed State“ machten sich die kriminellen Banden zunutze, um das Land zu destabilisieren, die Macht insbesondere in der Hauptstadt Port-au-Prince weiter an sich zu reißen und die Bevölkerung auszuplündern.
Im Projekt „Foyer de l´espérance“ (Foyer der Hoffnung), das von dem Adveniat-Partner und Ordensmann Pater Baudelaire Martial CSC geleitet wird, erhalten Kinder und Jugendliche eine warme Mahlzeit, Bildungsangebote, werden gesundheitlich versorgt und können im geschützten Raum ihre Freizeit verbringen. Foto: Pater Baudelaire Martial CSC
„Hinter den Banden stecken reiche, einflussreiche, international vernetzte Familien. Das erklärt auch, warum die Kriminellen besser ausgestattet sind als Polizei und Militär und sich die Gunst der Menschen in einzelnen Viertel mit Lebensmittelpaketen sowie Geschenken sichern können“, erläutert Adveniat-Expertin Soraya Jurado. Ohne ein Eingreifen der internationalen Gemeinschaft sei ein Ende der Gewalt und der Machtkämpfe nicht abzusehen.
Interimspräsident zurückgetreten
Haitis Interimspräsident Ariel Henry, der in Puerto Rico festsitzt, ist in der Nacht auf Dienstag, den 12. März, offiziell zurückgetreten. Der deutsche Botschafter Peter Sauer war bereits am Wochenende zuvor mit dem Hubschrauber aus der Hauptstadt Port-au-Prince in die benachbarte Dominikanische Republik ausgeflogen worden. Die USA haben Soldaten entsandt, um ihre Botschaft zu schützen. Inzwischen haben sämtliche europäische Diplomaten das Land verlassen.
Kinder, die im Foyer de l’espérance Schutz finden. Foto: Pater Baudelaire Martial CSC
Hilfe für die Armen und Unterstützung friedlicher politischer Kräfte ist Soraya Jurado zufolge jedoch nach wie vor möglich: „Als Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat nutzen wir die kirchlichen Strukturen vor Ort, um einerseits direkte Hilfe zu leisten, die bei den Menschen ankommt, und andererseits Bischöfe und Priester zu unterstützen, die nach wie vor zum politischen Dialog aufrufen und auf friedliche Lösungen drängen.“ Selbst in der stark umkämpften und von Gewalt geprägten Hauptstadt Port-au-Prince finanziert Adveniat weiterhin Hilfe für Kinder und Jugendliche. Sie erhalten etwa im Projekt „Foyer de l´espérance“ (Foyer der Hoffnung) eine warme Mahlzeit, Bildungsangebote, werden gesundheitlich versorgt und können im geschützten Raum ihre Freizeit verbringen.
Haiti wird seit Jahren von schweren politischen Krise erschüttert. Im Juli 2021 war der letzte gewählte Staatspräsident Jovenel Moïse ermordet worden. Neuwahlen wurden immer wieder angekündigt, haben aber nie stattgefunden. Das Machtvakuum nutzen kriminelle bewaffnete Banden, die längst die Macht in den Straßen übernommen und das Land in Chaos und Anarchie gestürzt haben. Die Leidtragenden sind die Menschen, die als Unbeteiligte in Schießereien geraten oder Opfer von Massakern werden. Die Bevölkerung hungert und ist von medizinischer Versorgung ausgeschlossen. Den Vereinten Nationen zufolge leidet das Land unter einer noch nie dagewesenen Nahrungsmittelknappheit. Fast die Hälfte der Bevölkerung, etwa 4,9 Millionen Menschen, habe nicht genug zu essen. Haiti gilt ohnehin als das ärmste Land der westlichen Hemisphäre und war in den vergangenen Jahrzehnten auch immer wieder von Naturkatastrophen wie Wirbelstürmen und Erdbeben heimgesucht worden.
Außerhalb der Hauptstadt bietet die weit verzweigte Struktur von Pfarrgemeinden die Möglichkeit, die Menschen zu unterstützen. „Wir finanzieren bis heute Nahrungsmittelhilfen für Senioren und Schulspeisungen genauso wie Solarmodule und Anlagen zur Trinkwasseraufbereitung“, berichtet die Haiti-Referentin von Adveniat. „Wir sichern so das Überleben der Menschen, bieten ihnen aber auch die Möglichkeit, sich in ihrem Dorf in ihrer Region weiterzuentwickeln“, führt Soraya Jurado weiter aus. Die Energieversorgung durch Sonnenenergie mache die Menschen unabhängig von den immens gestiegenen Treibstoffpreisen und ermögliche, dass die soziale und pastorale Arbeit in den Pfarrgemeinden sowie die Weiterbildungsprogramme stattfinden könnten. „Wenn sich schon die große Politik nicht ändern lässt, stärken wir vor Ort das Bewusstsein für die Eigenverantwortung der Menschen, ihr Leben und ihr Umfeld positiv zu gestalten“, erläutert Soraya Jurado die kirchliche Graswurzelarbeit des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat mit den Partnerinnen und Partnern vor Ort.