Doris Huber
Ausbildung für ein würdevolles Leben
„Wir unterstützen Frauen auf ihrem Weg in die Freiheit, in ein selbstbestimmtes Leben ohne Gewalt.“ So beschreibt die österreichische Theologin und Frauenrechtlerin Doris Huber die Arbeit des Projekts Miriam in Nicaragua, das vom Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat unterstützt wird.
Für die alleinerziehende Mutter Consuelo Argentina Mena Ayerdis war die Berufsausbildung im Projekt Miriam die Tür zu einem
selbstbestimmten Leben. Professionell frisiert sie Projektgründerin Doris Huber die Haare. Foto: Juanita Escobar/Adveniat
Manchmal ist es nur ein kleiner Impuls, der einem Leben eine ganz andere Wendung geben kann: Die 24-jährige Consuelo Argentina Mena Ayerdis, alleinerziehende Mutter von drei Kindern aus Nicaraguas Hauptstadt Managua, hat durch eine Berufsausbildung die Tür zu einem selbstbestimmten Leben geöffnet.
Die Werkzeuge für das neue Leben liegen fein säuberlich sortiert auf dem Wohnzimmerschrank: Schere, Messer, Haarschneider und eine Tube Gel. Von der Decke baumelt eine Glühbirne herab. Consuelo Argentina Mena Ayerdis hat sich ihre Schürze umgebunden, auf der das Logo eines großen Kosmetikherstellers prangt. Draußen bellen Hunde und es kräht ein Hahn. Auf dem Stuhl vor ihr sitzt der Nachbarsjunge. Consuelo schneidet und modelliert dessen Kurzhaarfrisur so gut, dass der Teenager anschließend schnell ein Selfie auf Instagram postet. Ein besseres Lob kann es für die Friseurin kaum geben.
„Ich fühle mich endlich wertgeschätzt, weil die Leute mich brauchen und zu mir kommen“, sagt Consuelo. Das hilft, die Haushaltskasse aufzubessern und auch das eigene Selbstbewusstsein zu stärken. „Belleza“, wie die Nicaraguaner zur Schönheit sagen, ist hier genauso wichtig, wie in anderen Teilen der Welt. Auch wenn das Geld dafür im einkommensschwachen Viertel Jonathan Gonzales in der Hauptstadt Managua etwas knapper ist. Mit ihrem Verdienst hofft Consuelo irgendwann einmal einen eigenen Schönheitssalon eröffnen zu können. Ihr Ziel: Mit eigenen Händen selbstbestimmt die Zukunft zu gestalten, eigene Entscheidungen treffen und eigene Wege gehen. „Ich will nicht mehr zurückschauen, die Zukunft ist viel wichtiger“, sagt sie entschlossen.
Flucht vor der brutalen Gewalt im Elternhaus
Nach dem vierten Schuljahr brach Consuelo die Schule ab, sie floh vor der brutalen Gewalt im Elternhaus. Dort gab es statt Unterstützung Prügel und Alkoholmissbrauch. Als 14-jähriger Teenager bekam sie ihr erstes Kind. Ein paar Jahre später kamen Zwillinge dazu. Eine Berufsausbildung oder gar ein Studium war mit drei kleinen Kindern unmöglich. „Ich habe mich zurückgezogen, versucht irgendwie zu überleben und mich um meine Kinder zu kümmern. Das war keine schöne Zeit“, sagt Consuelo. Noch vor gut zwölf Monaten gab es kaum eine Perspektive für die junge Frau. Und doch hat ihr Leben innerhalb nur eines Jahres eine bemerkenswerte Wendung genommen.
Erstmals im Leben hat Consuelo eine Chance -ermöglicht durch das Projekt Miriam, das vom Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat unterstützt wird. Gründerin und Direktorin ist die Österreicherin Doris Huber, Theologin und Frauenrechtlerin, die seit Jahren in dem mittelamerikanischen Land für die Rechte von Frauen und Mädchen kämpft. „Wir unterstützen Frauen auf ihrem Weg in die Freiheit, in ein selbstbestimmtes Leben ohne Gewalt“, sagt Doris. „Wir sind überzeugt, dass Bildung und Empowerment von Frauen der Weg aus der Armut in ein selbstbestimmtes, würdevolles Leben sind.“
Consuelo Argentina Mena Ayerdis beim Haareschneiden zu Hause.
Doris Huber unterwegs mit der Projekt-Verantwortlichen vor Ort, Gladys Holmes.
Gladys Holmes besucht Lauren; eine der Stipendiatinnen. Sie erlernte das Nähen und arbeitet Zuhause.
Koordinatorin vor Ort ist Gladys del Socorro Holmes Perez, einst selbst Miriam-Stipendiatin. „Wir haben Consuelo wegen ihrer schlechten wirtschaftlichen Lage in das Projekt aufgenommen“, berichtet Gladys. „Sie hat eine mehrmonatige Ausbildung durchlaufen, und Miriam hat die Grundausstattung für den Start ins Berufsleben zur Verfügung gestellt.“
„Lernen ist etwas wunderschönes“
Willensstark müssen die Frauen sein, die sich für die Aus- und Weiterbildung innerhalb des Projektes bewerben. Das ist die Abmachung: Miriam kümmert sich um die Ausbildung und die Grundausstattung, die Frauen bringen ihr Herzblut ein. So wie Consuelo, die sich erst bei Miriam bewarb und dann einen strengen Auswahlprozess durchlaufen musste. Vom Projekt erfahren hat sie durch eine Nachbarin. „Ich wollte vorwärtskommen, ich wollte etwas ändern in meinem Leben“, erinnert sich Consuelo an den Moment, als sie ihre Bewerbung bei Miriam abgab. „Ich habe gebetet, dass ich eine Zusage bekomme.“
Neben der handwerklichen Ausbildung gibt es auch eine psychologische Betreuung. Nachhaltig soll die Hilfe für den Start in ein unabhängiges Leben sein: „Ich habe auch kaufmännische Grundlagen gelernt, um Preise zu berechnen“, sagt Consuelo. „Lernen ist etwas wunderschönes.“ Weil die Nachfrage für die Ausbildung zur Friseurin besonders hoch ist, achtet Koordinatorin Gladys darauf, dass die Frauen aus verschiedenen Vierteln der Stadt kommen.
Vor ein paar Monaten war es soweit: Der erste Kunde klopfte bei Consuelo an. „Ein unbeschreibliches Gefühl. Ich habe die Tür geöffnet und mich großartig gefühlt, aber ich war auch etwas nervös.“ Doch die Ausbildung zahlt sich aus. Inzwischen wächst Consuelos kleiner Wohnzimmersalon. „In der letzten Woche war zum ersten Mal jemand aus einem anderen Stadtviertel da, eine Frau aus einer Reinigung. Sie hatte gehört, dass es hier gute Arbeit zu einem guten Preis gibt. Das war ein tolles Gefühl.“