Venezuela: Weihnachten im Oktober?

Per Dekret zieht Präsident Nicolás Maduro Weihnachten in Venezuela auf den 1. Oktober vor. Im Interview mit dem Domradio spricht Thomas Wieland, der Leiter der Abteilung Ausland beim Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat, über die Hintergründe.

Thomas Wieland im Interview mit dem Domradio. Foto: Adveniat

Beobachter sprechen davon, dass Nicolás Maduro mit der Vorverlegung des Weihnachtsfestes die Bevölkerung in Schach halten und von den eigentlichen Problemen ablenken will. Worum geht es da?

Thomas Wieland: Die Regierung gibt in der Regel in der Weihnachtszeit zusätzliche Lebensmittel für die Bevölkerung aus. Das ist wohl der Hintergrund. Nach den Wahlen, die offensichtlich gefälscht sind und die zu erheblichen Protesten im Land geführt haben, will die Regierung etwas tun, um die Bevölkerung zu befrieden. Deswegen der Hinweis auf das Weihnachtsfest, verbunden mit dem Aufhängen von Lichtern in der Stadt Caracas. Das steht im Gegensatz zu den regelmäßigen Stromausfällen, die es in Venezuela zurzeit verschärft gibt.
Die Bischofskonferenz wehrt sich dagegen, das Weihnachtsfest zu instrumentalisieren. Die Menschen werden das Weihnachtsfest trotzdem am 24. und 25. Dezember feiern. Maduro geht es vor allem darum, Segnungen und Weihnachtsgeschenke schon etwas früher als üblich der Bevölkerung zukommen zu lassen.

Mehr als 90 Prozent der Bevölkerung in Venezuela sind römisch-katholisch. Dennoch gilt das Verhältnis zwischen Kirche und Staat als kompliziert. Worin äußert sich das?

Wieland: Der Staat versucht, kirchliches Handeln einzuschränken. Es gibt zurzeit im Parlament ein Nichtregierungsgesetz, das den Handlungsspielraum von kirchlichen Akteuren einschränkt – vor allem wenn sie nicht so eng in kirchliche Strukturen eingebunden sind. Es gibt polemische Aussagen gegenüber der katholischen Kirche.
Die Auseinandersetzung rührt daher, dass die katholische Kirche im Land sehr präsent ist und sich für die Menschen einsetzt. Zurzeit werden viele humanitäre Initiativen gestartet. Aber es gibt auch Versammlungsorte, wo die politische Situation kritisch diskutiert und analysiert wird. Das sorgt für ein Spannungsverhältnis, weil die katholische Kirche nach wie vor viele Menschen erreicht.

Ein Viertel der venezolanischen Bevölkerung ist mittlerweile geflohen. Wie hier in Necoclí in Kolumbien werden sie von Adveniat und Partnerorganisationen vor Ort beispielsweise mit Lebensmittel versorgt. Foto: Hans-Maximo Musielik/ Adveniat

Inwiefern wirkt sich die politische Situation in Venezuela auf die Arbeit des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat vor Ort aus?

Wieland: Adveniat unterstützt die Initiativen der katholischen Kirche vor Ort – zum Beispiel, indem wir Medikamente und Nahrungsmittel finanzieren und zur Verfügung stellen. Außerdem engagiert sich Adveniat bei der Unterstützung der Flüchtenden. Denn die Menschen verlassen in Scharen Venezuela.
Durch die Unterstützung von Akteuren, die auch im politischen Feld aktiv und beratend tätig sind, hilft Adveniat und versucht so zu gewährleisten, dass die Kirche ihre Aufgabe wahrnehmen kann.

Wie geht denn der Vatikan mit der politischen Situation um? Einige Bischofssitze sind vakant. Es gab zwischenzeitlich einmal einen Erzbischof, der für zwei Erzbistümer zuständig war. Und seit Mai diesen Jahres ist Erzbischof Alberto Ortega Martín Apostolischer Nuntius. Vorher war er Nuntius in Chile, wo er die Erarbeitung einer neuen Verfassung miterlebte. Welche Rolle spielt er im Konflikt zwischen der Regierung Maduros und der Kirche?

Wieland: Die Kirche reagiert auf drei Wegen auf die Krise und die verstärkte politische Krise seit den letzten Wahlen. Zunächst einmal gibt es die Kanäle des Vatikans. Staatssekretär Kardinal Parolin war ebenfalls ehemals Nuntius in Venezuela und kennt die Verhältnisse sehr gut. Auch Arturo Sosa, der Generalobere der Jesuiten, ist Venezolaner. Es gibt also im Vatikan sehr gute Kenntnisse über die Vorgänge in Venezuela. Allerdings geschieht die Diplomatie des Vatikans eher still.
Die Bischofskonferenz äußert sich und ihr kommt auch diese Rolle zu, das Verhältnis zur Regierung zu gestalten. Und sie legt den Akzent auf Dialog und die Veröffentlichung der Wahlakten, um die tatsächlichen Ergebnisse der letzten Präsidentschaftswahlen transparent zu machen.
Und es gibt einen dritten Weg, den die beiden venezolanischen Kardinäle, Baltazar Enrique Porras Cardozo und Diego Rafael Padrón Sánchez, der ehemalige Vorsitzende der venezolanischen Bischofskonferenz, nutzen. Porras war Erzbischof von Caracas und hatte eine Zeit lang zwei Bischofssitze inne, worauf Sie gerade angespielt haben. Beide beziehen klar Stellung in der Öffentlichkeit und bezeichnen die Wahlen als gefälscht.
Damit gibt es seitens der katholischen Kirche verschiedene Spielräume. Das Ziel ist die Verständigung auf nationaler Ebene. Denn Polarisierung nützt dem Regime, Verständigung nützt den Menschen.

Das Interview führte Jan Hendrik Stens vom domradio.