Kolumbien: Durch Ausbildung Frauen aus der Prostitution befreien

Die finanzielle Not treibt Frauen in Bogotá in die Prostitution. In Santa Fe, einem der größten Rotlichtviertel Kolumbiens, bietet die Organisation Red Tamar mit Hilfe des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat Unterstützung in Form von Ausbildungen an. Der Ausbildungsabschluss ist für die Frauen ein Höhepunkt: Heute werden sie in ihr Small Business entlassen, um unabhänigig von ihrem alten Leben, eine neue Existenz zu gründen. 
 

„Heute erreichen wir ein wichtiges Ziel mit unseren Projektteilnehmerinnen. Im Laufe ihrer einjährigen Ausbildung haben wir ihr Selbstwertgefühl gestärkt und sie empowered.“, sagt Alexandra González, die als Psychologin bei Red Tamar arbeitet, begeistert. So lernen sie, sich selbst wert zu schätzen und können dies auch in ihrem Sozial- und Berufsleben zum Ausdruck bringen.

Im Rahmen der Ausbildung suchten sich die Frauen einen der zahlreichen Fachbereiche aus, die Red Tamar anbietet, z.B. im Bereich Nähen oder Hairstyling. Die Projektteilnehmerin Ingrid ist zufrieden: „Ich habe hier so viel gelernt. Die Kursleiterinnen haben uns sehr viel beigebracht.“ Das Ausbildungsprogramm von Red Tamar für Frauen, die von Menschenhandel und sexueller Ausbeutung betroffen sind, wirkt: Am letzten Ausbildungstag erhalten die Frauen ein großes Paket an Hilfsmitteln, mit denen sie ihr eigenes Business starten und sich so aus bisher bestehenden Abhängigkeitssituationen befreien können. Durch die Arbeit erhalten sie ihre oft verlorene Würde zurück – und auch nach der Ausbildung begleitet Red Tamar die Frauen auf ihrem Weg in die Freiheit.  

Marta – Ein Schicksal von vielen 
Marta Sánchez* bezeichnet sich selbst als „Überlebende“. „Ich bin einem System entkommen, das mir als Frau jegliche Würde geraubt hat“, sagt sie. Jahrelang prostituierte sie sich auf den Straßen der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá. Sie stieg mit fremden Männern ins Bett, ließ zu, dass diese ihren Körper berührten und in ihn eindrangen. Gewollt hat die 50-Jährige das nie. Im Gegenteil: „Ich ekelte mich selbst so sehr an, dass ich mich nur mit Alkohol oder Drogen ertrug.“

Marta hat den Absprung geschafft. Dank einer Gruppe von Ordensschwestern hat sie gelernt, dass es auch anders geht. „Die Schwestern haben mir gezeigt, dass ich für etwas anderes gemacht bin und etwas anderes machen kann als Männer zu befriedigen.“

Unter dem Namen „Red Tamar“ (Netzwerk Tamar) arbeiten die Ordensschwestern seit 15 Jahren mit Mädchen und Frauen, die sich prostituieren. Tamar – so heißt es im Alten Testament – ist von ihrer eigenen Familie missbraucht und verkauft worden. Für Menschen wie Tamar wollen die Ordensschwestern da sein – genau an dem Ort, wo die Frauen sich verwundbar machen.

In Bogotá ist das vor allem Santa Fe. Der zentral gelegene Stadtteil ist eines der größten Rotlichtviertel Kolumbiens. Wie eine Umfrage des Stadtrats von Bogotá im Jahr 2019 ergab, sind 23.000 Frauen in der Hauptstadt als Sexarbeiterinnen tätig – ein Großteil in Santa Fe. Da die Dunkelziffer hoch ist, beschreibt diese Zahl nicht das ganze Ausmaß der Prostitution.
 

So hilft Adveniat

Sexuelle Ausbeutung großes Problem in Lateinamerika
In ganz Lateinamerika ist das Problem der sexuellen Ausbeutung vor allem bei Mädchen und Frauen ein großes Problem. Viele von ihnen verkaufen ihren Körper, um ein wenig Geld zu verdienen.

Streetworker versuchen Frauen aufzufangen
Gemeinsam mit Projektpartnern in unterschiedlichen Ländern versucht Adveniat diese Mädchen und Frauen aufzufangen und zu fördern, damit sie aus der Prostitution frei kommen und zu selbstbewussten Frauen heranwachsen können. Streetworker gehen zu den Frauen, sprechen mit ihnen über die Risiken, denen sie sich auf der Straße aussetzen, über ihre Rechte, die Hilfe, die sie ihnen anbieten können.

Frauenhäuser als Zufluchtsort und Ausbildungsstätte
Wenn die Frauen bereit sind, bieten die Adveniat-Partner ihnen einen Platz in einem Frauenhaus an, das ihnen eine sichere, geborgene Umgebung, einen geregelten und durchstrukturierten Alltag bietet und wo sie eine Ausbildung machen können, um damit später ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.


Red Tamar verfügt in Santa Fe über ein eigenes Haus mit Büro- und Gemeinschaftsräumen. Mitglieder des Netzwerks empfangen die Frauen dort zu Gesprächen, zum Kochen oder Beten. Sie gehen aber auch auf die Straße: Vor den Bars, Hotels und Bordellen stehen Frauen, die meisten von ihnen dünn bekleidet, außer Schuhen und Leggins tragen sie nur ein Bikinioberteil oder einen BH. Während die Frauen so versuchen, Männer auf sich aufmerksam zu machen, gehen die Schwestern auf sie zu.

Auch wenn ein solches Setting für Gebete oder Gespräche ungewöhnlich ist, begegnen die Frauen ihnen in der Regel offen. „In Kolumbien gibt es nur wenige Menschen, die nicht an Gott glauben, oder überhaupt nichts mit ihm anfangen können“, sagt eine Mitarbeiterin von Red Tamar. Genau wie ihre Kolleginnen will sie anonym bleiben. Durch ihre Arbeit bringen sich die Schwestern in Gefahr. Prostitution ist in Kolumbien ein Geschäft, an dem sich viele bereichern. Oft stecken weit verzweigte Netzwerke dahinter. Und es kommt vor, dass Bar- oder Bordellbesitzer enge Verbindungen zu Politikern pflegen. Weil die Schwestern mit ihrer Arbeit immer wieder erreichen, dass Frauen aus der Prostitution aussteigen, ziehen sie den Groll dieser Personen auf sich.
 

Für die Unterstützung von Mädchen und Frauen in Lateinamerika.